Bogenschießen:Goldtraum und Goldangst

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Der Ort ihres bislang größten Erfolgs: Charline Schwarz bei den Olympischen Spielen in Tokio, wo sie 2021 mit dem deutschen Team die Bronzemedaille gewann. (Foto: Sergei Bobylev/Itar-Tass/Imago)

Bogenschützin Charline Schwarz aus Feucht will im Sommer ihre zweite Medaille bei den Olympischen Spielen gewinnen. Ob das gelingt, hängt in ihrer Sportart vor allem von mentaler Stärke ab.

Von Helene Altgelt

Putzmuntere Kleinkinder können für Eltern sehr anstrengend sein. Einschlägige Ratgeber haben daher eine ganze Reihe an Möglichkeiten der Bespaßung von Zwei- oder Dreijährigen parat: Versteckspiele, ein Bilderbuch vorlesen, in den Zoo oder auf den Spielplatz gehen. Mit dem Kind Bogenschießen gehen, das steht eher nicht in diesen Ratgebern. Die Eltern von Charline Schwarz drückten ihrer Tochter im zarten Alter von zweieinhalb Jahren trotzdem ihren ersten Bogen in die Hand, wenn auch nur mit Saugknöpfen statt scharfen Pfeilen ausgestattet. Mit fünf Jahren unternahm Schwarz ihre ersten Versuche mit dem echten Bogen.

"Ich bin auf dem Bogenplatz aufgewachsen", sagt die 23-Jährige. Ihre Eltern waren im Bogenschießverein in ihrer Heimat, in Feucht bei Nürnberg, aktiv. Der Weg zur Zielscheibe war für Schwarz kurz. Seit sie vor zwanzig Jahren angefangen hat, hat sie Tausende Pfeile geschossen. Über zehn Meter, dann 20, später 50, inzwischen 70. "Wenn ein kleines Kind sehr früh etwas anfängt, es dann Jahre macht und am Ball bleibt, dann wird es meistens ziemlich gut", glaubt Schwarz: "Und ich bin am Ball geblieben."

Längst fliegen ihre Pfeile nicht nur auf dem heimischen Bogenschießplatz. Sondern auch in Tokio, wo sie 2021 mit dem deutschen Team die Bronzemedaille holte, in München und Berlin, wo sie mit ihren Mitschützinnen die Europa- und Weltmeisterschaft gewann. Bald auch in Paris, auf der Esplanade des Invalides, wenn es nach Schwarz geht. Die interne Qualifikation für die Olympischen Spiele beginnt jetzt, in mehreren Wettkämpfen werden die drei deutschen Startplätze vergeben. Im Siegestaumel und bunten Tumult der olympischen Wochen dringt Bogenschießen nicht am lautesten durch, aber seit München 1972 war die Sportart stets vertreten.

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1904 war das Bogenschießen sogar die einzige Sportart, in der Frauen zugelassen wurden. Vielleicht, weil das Zielen auf eine Scheibe als weniger belastend für den fragilen weiblichen Körper angesehen wurde als andere Sportarten. Dabei "sind wir Bogenschützen sportlicher als unser Ruf", sagt Schwarz. Fast zwanzig Kilogramm zieht sie bei einem Wettbewerb mit den Fingern, der Bogen wiegt dazu noch mal drei Kilo. Ihr Bogen ähnelt der traditionellen Waffe, die der elegante Elf Legolas in "Herr der Ringe" schultert, nur minimal: Schwarz schießt mit einem technisch hoch entwickelten Sportgerät, dem sogenannten Recurvebogen. Daneben gibt es noch den Compoundbogen, der nicht bei Olympia vertreten ist: "Das ist immer ein Kampf", sagt Schwarz, aber sie ist bereits glücklich, dass ihre Sportart überhaupt dabei ist. "Nur weil das Bogenschießen olympisch ist, habe ich die Möglichkeit, das professionell zu machen, über die Bundespolizei." Inzwischen trainiert Schwarz nicht mehr im heimischen Franken, sondern mit den anderen Profis im Sportforum in Berlin.

"Man lebt nur aus dem Koffer. Manchmal würde ich einfach gerne ein paar Wochen an einem Ort sein und einen geregelten Tagesablauf haben": Charline Schwarz. (Foto: privat)

Acht Stunden lang steht Schwarz an einem normalen Arbeitstag auf dem Platz. Ein Nine-to-five-Job, aber erheblich anstrengender als der graue Büroalltag für Kopf und Körper. Auch wenn die sich schnell anpassen, so Schwarz: "Danach fühlt man sich immer noch halbwegs fit, denn man hat ja nichts mit einem hohen Puls gemacht und der Kopf gewöhnt sich auch an die Präzision, an die Konzentration." Die Herausforderung ist es dann, das auch im Wettkampf abzurufen. In dem Sinne ähnelt Bogenschießen mehr Schach als Kugelstoßen. "Spätestens bei den internationalen Wettkämpfen kann jeder eine Zehn schießen", sagt Schwarz, also die Mitte der Scheibe treffen.

Bogenschützen hoffen, anders als ein verbreitetes Sprichwort es suggeriert, nicht, ins Schwarze zu treffen. Schwarz ist nur der äußerste Ring, das Ziel ist stattdessen ein goldener Bereich. Der mentale Block im Kopf, bei Wettkämpfen der größte Feind der Bogenschützen, heißt daher passenderweise "Goldangst". Ein Begriff, der bei den Olympischen Spielen gleich doppelt gut funktioniert. Charline Schwarz hat diese Goldangst auch schon erlebt, die in verschiedenen Formen auftreten kann. Oft könne man den Pfeil schlicht nicht loslassen, erklärt sie. Bei einem Wettkampf ist das der Super-GAU, aber auch ohne Goldangst können viele ihre Leistung aus dem Training nicht komplett abrufen. "Man versucht immer, das Training zum Wettkampf zu machen und den Wettkampf zum Training, dass da ein fließender Übergang ist", sagt Schwarz. Wer diesen Übergang am besten meistert, gewinnt.

Den Deutschen ist das in den vergangenen Jahren gut gelungen. Die Nase vorn, oder eher die Pfeilspitze, haben aber weiter die Südkoreanerinnen, die bisher bei jedem olympischen Teamwettbewerb die Goldmedaille abräumten. Um diese Dominanz zu durchbrechen, bräuchte es wohl die Topbedingungen, die auf der Halbinsel vorherrschen. In Deutschland, erzählt Schwarz, haben die Bogenschützen keine 70-Meter-Halle, die sie für das Training im ganzen Jahr nutzen können. So fahren sie immer wieder für die Vorbereitung in die Türkei. Auf die Dauer schlaucht das, auch weil die Wettbewerbe ebenfalls rund um den Globus verteilt sind. "Man lebt nur aus dem Koffer. Manchmal würde ich einfach gerne ein paar Wochen an einem Ort sein und einen geregelten Tagesablauf haben", sagt Schwarz. "Wir hoffen schon seit vielen, vielen Jahren, dass Deutschland für uns eine Halle baut." Aber wenn sie bisher eins gelernt hat, dann ist es ja, dass Dranbleiben sich lohnt.

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